Was ist die Medical Device Regulation?

Wird in Österreich oder einem anderen europäischen Land ein neues Medizinprodukt zugelassen, muss nicht nur national geltendes Gesetz, das Medizinproduktegesetz (MPG), sondern auch die europäische Verordnung (2017/745), die Medical Device Regulation (MDR), eingehalten werden.

Einer der Auslöser für die MDR waren minderwertige Brustimplantate eines französischen Herstellers, was teilweise zu einem Vertrauensverlust in die Qualität von Medizinprodukten geführt hat. Ziel der seit 26. Mai 2021 geltenden MDR ist es, durch eine europaweite Vereinheitlichung des Medizinprodukterechts, die Patientensicherheit zu erhöhen. Damit einher gehen sehr viel strengere und umfassendere Vorgaben, die vor allem für kleinere Medizinprodukthersteller so manche Hürden bereitstellen.

1. Geltungsbeginn und Übergangsfristen

Die MDR trat im Jahr 2017 in Kraft, um zwei EU-Richtlinien zu ersetzen:

  1. Medizinprodukterichtlinie 93/42/EWG (Medical Device Directive – MDD)
  2. Richtlinie für aktive implantierbare medizinische Geräte 90/385/EWG (Active Implantable Medical Devices, AIMD)

Anders als EU-Richtlinien sind EU-Verordnungen unmittelbar wirksam und für alle Mitgliedstaaten gültig. Der ursprüngliche Geltungsbeginn der MDR für Hersteller mit bereits zugelassenen Medizinprodukten wurde für den 26. Mai 2020 festgelegt. Diese dreijährige Übergangsfrist wurde zunächst um ein weiteres Jahr bis zum 26. Mai 2021 verlängert, um den neuen, ausgeweiteten Vorgaben gerecht werden zu können. Aufgrund der Konsequenzen der COVID-19-Pandemie und der Komplexität der Umsetzung wurden weitere Übergangsfristen eingeführt:

  • Für Medizinprodukte (MDR) bis maximal Ende 2028
  • Für In-vitro Diagnostika (IVDR, also für diagnostische Tests außerhalb des menschlichen Körpers) bis maximal Ende 2029

Seit dem 26. Mai 2021 ist die MDR verpflichtend anzuwenden. Jedoch regelt die MDR im Artikel 120 weiterhin geltende Übergangsbestimmungen und Übergangsfristen:

  • Laut Absatz 2 des Artikels 120 gilt die Bescheinigung bis zu jenem Datum, das in der Bescheinigung genannt wird. Die Bescheinigung der Benannten Stelle muss jedoch vor dem 26. Mai 2017 ausgestellt worden sein. Nach novellierten Übergangsbestimmungen können Produkte mit einer gültigen Bescheinigung abhängig von ihrer Risikoklasse bis spätestens 31. Dezember 2028 weiter vermarktet werden, sofern keine wesentlichen Änderungen am Produkt vorgenommen werden.
  • Seit dem 26. Mai 2021 dürfen laut Absatz 3 des Artikels 120 nur jene Medizinprodukte in Verkehr gebracht werden, die vollständig den Vorgaben der MDR entsprechen. Für Produkte der Klasse I (alte Klassifizierung nach MDD), die laut MDR in die Klassen I, IIa, IIb oder III eingestuft werden, ist eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2028 vorgesehen. Bedingung ist zudem, dass am Produkt keine wesentlichen Änderungen vorgenommen wurden.
  • Medizinprodukte, die bereits vor dem 26. Mai 2021 gemäß der MDD in Verkehr gebracht wurden und Produkte, die unter die Regelungen von Absatz 3 fallen, können auch weiterhin auf dem Markt angeboten werden. Für diese Ausnahme endet die Übergangsfrist am 31. Dezember 2028.

2. Neuregelungen durch die MDR

Die MDR beinhaltet zahlreiche neue Regelungen, die alle Wirtschaftsakteur*innen der Medizintechnik betreffen. Dazu zählen neben den Herstellern auch die Importeure, Händler und Vertreter.

Die wichtigsten Neuerungen der MDR sind:

  • Die Anforderungen, denen Medizinprodukte entsprechen müssen, wurden erheblich ausgeweitet und in Sicherheits- und Leistungsanforderungen unterteilt.
  • Die Klassifizierung von Medizinprodukten ändert sich, wodurch einige Produkte in eine andere Klasse fallen werden.
  • Technische Dokumentationen müssen laufend aktualisiert werden und sind im Anhang 2 der MDR sehr detailliert geregelt.
  • Produkte mit Gefahrenstoffen müssen höheren Anforderungen gerecht werden
  • Die Anforderungen an jene Daten, die für die klinischen Nachweise zur Leistungsbewertung herangezogen werden, sind wesentlich umfangreicher.
  • Die MDR enthält sehr detaillierte Regelungen zur Überwachung der bereits am Markt zugelassenen Produkte (Post-Market-Surveillance).
  • Aufgrund des Konsultationsverfahrens sind Benannte Stellen bei bestimmten Produkten dazu verpflichtet, neue Anträge auf Konformitätsbewertung an die Medical Device Coordination Group (MDCG) zu melden.
  • Jedes Medizinprodukt muss verpflichtend identifiziert und registriert werden. Dazu werden Medizinprodukte einheitlich durch eine Produktidentifizierungsummer, der Unique Device Identification (UDI), gekennzeichnet. Sie ist ein weltweites System für eine einheitliche Produktkennzeichnung für Medizinprodukte.
  • Hersteller und Bevollmächtigte müssen über eine Person Responsible for Regulatory Compliance (PRRC) verfügen. Diese Personen sind vor allem für die Einhaltung der regulatorischen Vorschriften verantwortlichen.
  • Die Tätigkeiten und Prüfbescheinigungen der Benannten Stelle werden europaweit vereinheitlicht.
  • Die europäische Datenbank für Medizinprodukte – EUDAMED – wird ausgeweitet und damit zur zentralen Plattform für Hersteller und Benannte Stellen. Sie wird auch der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Auf EUDAMED können Informationen über Hersteller, Produkte, Bescheinigungen und klinische Prüfungen abgerufen werden.
  • Die MDR enthält spezifische Anforderungen für Händler*innen. Dazu zählt beispielsweise, dass Reklamationen über Produkte und auch Verstöße gegen die MDR an Hersteller, Importeure oder bevollmächtigte Personen geleitet werden müssen.

3. Die Struktur der neuen Verordnung

Die MDR hat in Summe 175 Seiten. Die Medizinprodukterichtlinie hingegen umfasste lediglich 43 Seiten. Alleine das spiegelt bereits die umfassende und detailreiche Regelung der Anforderungen an Medizinprodukte und an dessen Wirtschaftsakteure wider. Die Komplexität der Inhalte wird erst beim genauen Befassen mit dem Gesetzestext deutlich.

Die insgesamt 10 Kapitel der MDR regeln folgende Inhalte:

  1. Geltungsbereich und Begriffsbestimmungen
  2. Bereitstellung auf dem Markt und Inbetriebnahme von Produkten, Pflichten der Wirtschaftsakteure, Aufbereitung, CE-Kennzeichnung, Freier Verkehr
  3. Identifizierung und Rückverfolgbarkeit von Produkten, Registrierung von Produkten und Wirtschaftsakteuren, Kurzbericht über Sicherheit und klinische Leistung, Europäische Datenbank für Medizinprodukte
  4. Benannte Stellen
  5. Klassifizierung und Konformitätsbewertung
  6. Klinische Bewertungen und klinische Prüfungen
  7. Überwachung nach dem Inverkehrbringen, Vigilanz und Marktüberwachung
  8. Kooperation zwischen den Mitgliedstaaten, der Koordinierungsgruppe Medizinprodukte, Fachlaboratorien, Expertengremien und Produktregister
  9. Vertraulichkeit, Datenschutz, Finanzierung und Sanktionen
  10. Schlussbestimmungen

In den Anhängen der MDR sind die detaillierten Anforderungen zu finden:

  • Anhang 1: Sicherheits- und Leistungsanforderungen
  • Anhang 2: Technische Dokumentation
  • Anhang 3: Technische Dokumentation über die Überwachung nach dem Inverkehrbringen
  • Anhang 4: EU-Konformitätserklärung
  • Anhang 5: CE- Konformitätskennzeichnung
  • Anhang 6: Mit der Registrierung von Produkten und Wirtschaftsakteuren gemäß Artikel 29 Absatz 4 und Artikel 31 vorzulegende Informationen; in die UDI-Datenbank zusammen mit der UDI-DI gemäß den Artikeln 28 und 29 einzugebende zentrale Datenelemente; das UDI-System
  • Anhang 7: Von den Benannten Stellen zu erfüllende Anforderungen
  • Anhang 8: Klassifizierungsregeln
  • Anhang 9: Konformitätsbewertung auf der Grundlage eines Qualitätsmanagementsystems und einer Bewertung der technischen Dokumentation
  • Anhang 10: Konformitätsbewertung auf der Grundlage einer Baumusterprüfung
  • Anhang 11: Konformitätsbewertung auf der Grundlage einer Produktkonformitätsprüfung
  • Anhang 12: Von einer Benannten Stelle ausgestellte Bescheinigungen
  • Anhang 13: Verfahren für Sonderanfertigungen
  • Anhang 14: Klinische Bewertung und klinische Nachbeobachtung nach dem Inverkehrbringen
  • Anhang 15: Klinische Prüfungen
  • Anhang 16: Verzeichnis der Gruppen von Produkten ohne medizinische Zweckbestimmung gemäß Artikel 1 Absatz 2
  • Anhang 17: Entsprechungstabelle

4. Kritik an der Medical Device Regulation

Die MDR bedeutet für Hersteller nicht nur, eine viel größere Anzahl an Anforderungen einzuhalten, sondern auch einen erheblichen Dokumentationsaufwand. Diesen werden insbesondere KMUs nur schwer tragen können. Die größte Kritik an der MDR ist somit die Befürchtung, sie würde kleinere Unternehmen vom Markt verdrängen, da sich der große Mehraufwand nicht lohnt. So stellt sich beispielsweise die Frage, in welcher Form Hersteller über eine PRRC verfügen müssen. Falls kein/e Mitarbeiter*in die Auflagen erfüllen, stellt die Anstellung einer PRRC für viele KMUs eine sehr große finanzielle Belastung dar.

Der durch die MDR resultierte Mehraufwand bedeutet jedoch nicht nur für KMUs höhere Kosten. Davon sind alle Hersteller betroffen. Auch wenn viele Medizinproduktehersteller über interne Regulatory Affairs Manager*innen verfügen, bedeutet das Auseinandersetzen mit allen Inhalten der MDR einen erheblichen zusätzlichen Aufwand. Zudem sind nicht alle Formulierungen eindeutig, weshalb ein Interpretationsspielraum besteht, der die Umsetzung in die Praxis jedoch erschwert. Eine intensive Beschäftigung mit den Inhalten der MDR wird viele Unternehmen dazu bringen, sich externe Beratung einholen zu müssen, um konform zu den gesetzlichen Regelungen handeln zu können.

Da einer der Anlässe für die MDR der Skandal um das französische Unternehmen Poly Implant Prothèse (PIP) war, wird teils auch die generelle Sinnhaftigkeit der MDR hinterfragt. Diesen Vorfall sehen Kritiker*innen der MDR als Beweis dafür, stärke Kontrollen der Hersteller und am Markt durchzuführen, anstatt die Regularien zu verschärfen.

5. Medizinprodukte: Praxis vs. Gesetzestext?

Die vielen Kritikpunkte an der MDR lassen die Frage an der Praxistauglichkeit dieser neuen EU-Verordnung aufkommen. Wenngleich die ausgeweiteten Anforderungen die Patientensicherheit erhöhen und den Nutzen von Medizinprodukten optimieren sollen, können die vielen Hürden in der Umsetzung nicht negiert werden. Hier wird man durch kommende Urteile bzw. fehlende Exekutionen noch viel dazu lernen.

Dennoch ist die MDR die rechtliche Grundlage für ein Medizinprodukt. Wie du Produkte der Medizintechnik entwickeln kannst und dabei auch wirtschaftlich konkurrenzfähig bleibst, kannst du dir in unserem Masterlehrgang Health Tech Management aneignen. Lerne mit uns Health Tech Solutions kennen und profitiere von einer idealen Mischung aus akademischen und anwendungsspezifischen Lehrinhalten.

Quellen:

  1. https://www.johner-institut.de/blog/johner-institut/uebergangsfristen-mdr/, Johner Institut GmbH
  2. https://www.johner-institut.de/blog/tag/mdr/, Johner Institut GmbH
  3. https://www.coloplast.at/ueber-uns/mdr/fragen-und-antworten-mdr, Coloplast GmbH
  4. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A32017R0745, EUR-Lex
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